Sozialistische Internationale

Konferenz der Sozialistischen Internationale in Sao Paulo

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240/ 24.10.03

Der Kongress der Sozialistischen Internationale, der Vereinigung von ca. 140 sozialdemokratischen, sozialistischen und links-demokratischen Parteien weltweit findet vom 27. bis 29. Oktober 2003 in Sao Paulo statt.

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Thema ERGÄNZEN

Themen des Kongresses sind:

· Für einen neuen Multilateralismus - für nachhaltige Entwicklung und Sicherheit

· Die Rolle und die Reform der Vereinten Nationen

· Das internationale Finanzsystem: ein neues Bretton Woods

· Internationaler Handel: Fairness, Beschäftigung und Umwelt

· Regionale Integration: die neue Architektur

· Einsatz für den Frieden: Prävention und Lösung von Konflikten

· Armut und Pandemien: die unerträglichen Wunden

· Förderung der Inklusion: Gender - Gleichheit und Frauen in der Politik

· Die Menschen befähigen: Stärkung der demokratischen Institutionen und der Zivilgesellschaft.

Wesentlich für die zukünftige Arbeit der SI im Bereich globaler Politik ist die Beschlussfassung über den Programmentwurf „Governance in a Global Society – The Social Democratic Approach". Dieser Entwurf wurde von dem Komitee der Sozialistischen Internationale für Wirtschaft, Sozialen Zusammenhalt und Umwelt unter Vorsitz von Christoph Zöpel, Mitglied des Parteivorstands der SPD, erarbeitet.

Die englische Fassung des Entwurfs ist bei der Pressestelle des SPD-Parteivorstands oder im Büro von Christoph Zöpel im Deutschen Bundestag erhältlich.

Die Langfassung des Programmtitels lautet:

Governance in einer Globalen Gesellschaft – der Sozialdemokratische Ansatz
Gleiche Möglichkeiten und Beteiligung für Frauen und Männer, Arm und Reich, Entwicklungs-, Übergangs- und Entwickelte Länder

 

Das Programm enthält eine Analyse weltweiter politischer Veränderungen infolge der Globalisierung, die in die Kapitel Nachhaltige Entwicklung, Menschenrechte und Demokratie gegliederte Programmatik und einen Aktionsplan der SI.
Von besonderer Bedeutung ist dabei das Kapitel über Demokratie. Es enthält konkrete Vorschläge zur Demokratisierung globaler Politik durch die Beteiligung der Zivilgesellschaft, die Herausbildung von Parteiengemeinschaften auf globaler Ebene und der Parlamentarisierung des UNO-Systems.
Im Folgenden werden die Kapitel „Nachhaltige Entwicklung" und „Menschenrechte" in extrem geraffter Weise wiedergegeben, ausführlicher das Kapitel „Demokratie" und vollständig der „Aktionsplan".
Unter den Bedingungen der Globalisierung muss „Democratic Governance", demokratische Politik neu entwickelt werden. Das Ziel der sozialdemokratischen Bewegung ist es, ihre historischen Werte - soziale Gerechtigkeit und Demokratie - mit den neuen Herausforderungen, Aufgaben, Prozessen und Instrumenten von Politik, die die Globalisierung hervorgebracht hat, zu versöhnen. Ein Konzept von Global Governance muss entwickelt werden, das im Gegensatz steht zur neoliberalen Marktideologie, zur neokonservativen Agenda und zum Unilateralismus. Diese Alternative hat die Dynamik eines globalen Marktes mit sozialen, ökologischen und demokratischen Werten zu verbinden. Dieses erfordert Bürger, zivilgesellschaftliche Organisationen, Parteien, Parlamente und Regierungen, die global Handeln in Übereinstimmung mit demokratischen Werten.
Der Prozess der Globalisierung stellt für die demokratische Linke eine besondere Herausforderung dar. Für mehr als ein Jahrhundert war der demokratische Staat das zentrale Instrument, um eine gerechtere und demokratischere Gesellschaft herauszubilden. Dieses sozialdemokratische Projekt fand seine Verkörperung im Wohlfahrtsstaat in den Gesellschaften Westeuropas nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Globalisierung gefährdet nun Teile des erreichten Fortschritts. Ein neues Dreieck von Prinzipien charakterisiert die globale Sozialdemokratie. Diese sind nachhaltige Entwicklung, Menschenrechte und Demokratie. Jedes dieser drei Prinzipien hat drei Dimensionen. Nachhaltige Entwicklung umfaßt gesunde Umwelt, wirtschaftlichen Fortschritt und soziale Gerechtigkeit. Menschenrechte umfassen individuelle Sicherheit, kulturelle Identität und soziale Integration. Demokratie umfaßt Good Governance, Transparenz und Partizipation.

A Nachhaltige Entwicklung

Im letzten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts hat sich ein weltweites Bewußtsein für die Notwendigkeit von Umweltschutz entwickelt. Aufgaben der umweltbezogenen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung wurden gleichberechtigt. Dieses Konzept von nachhaltiger Entwicklung wird von der Sozialistischen Internationale voll unterstützt. Es läßt sich zurückführen auf Überlegungen des früheren Präsidenten der SI, Willy Brandt, und insbesondere der Kommission für Nachhaltige Entwicklung, die von der früheren Vizepräsidentin der SI, Gro Harlem Brundtland, geleitet wurde. In einer Fülle von Konferenzen bis hin zum Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung 2002 in Johannesburg wurde begonnen, dieses Konzept umzusetzen. Es ist allerdings eine kontinuierliche Weiterarbeit erforderlich. Deshalb schlägt die SI die Einrichtung eines UN-Sicherheitsrates für Nachhaltige Entwicklung vor, um die Politik nachhaltiger Entwicklung auf globaler Ebene besser zu koordinieren.

"Nachhaltigkeit" ist der Schwachsinnsbegriff aus der Bürokratensprache, aber die neue Rechtschreibung beherrschen sie auch nach Jahren noch nicht, weil sie so "nachhaltig" ohne Lernprozess sind.

B Menschenrechte

Die Menschenrechtspolitik basiert auf der Deklaration der Menschenrechte von 1948. Ihre Implementierung erfordert noch große Anstrengungen. Für die große Mehrheit der Menschen weltweit besteht die Garantie ihrer Menschenrechte vor allem in der Garantie ihrer persönlichen Sicherheit. Persönliche Sicherheit ist nicht mehr in erster Linie eine Angelegenheit zwischenstaatlicher, sondern innerstaatlicher Gewalt geworden. Erforderlich ist die Herausarbeitung eines globalen Systems von Instrumenten zur Verbrechensbekämpfung und zum Aufbau von sozialen, ökonomischen und politischen Strukturen, die zur Prävention beitragen. Ein integriertes Konzept der Verbrechensbekämpfung und Verbrechensprävention von der lokalen bis zur globalen Ebene wird angestrebt.

 

Menschenrechte stehen in einem engen Zusammenhang mit kultureller Identität. Kulturelle Identität ist ein Menschenrecht. Kulturelle Unterschiede müssen akzeptiert werden. Aus den kulturellen Unterschieden resultieren neuartige Konflikte. Einige sind verbunden mit der Ausbreitung verschiedener Arten von Fundamentalismus. Länder, die seit längerem von autoritären Regimen regiert wurden, sind zu einer Brutstätte des Fundamentalismus geworden. Die Antwort der Sozialdemokratie auf Fundamentalismus ist das Festhalten an den Werten der menschlichen Würde, der Freiheit, der sozialen Gerechtigkeit, der Solidarität, der Gleichheit von Mann und Frau und an den Werten der Toleranz und der Koexistenz von Religionen und des Dialogs zwischen ihnen sowie an den Ideen der Aufklärung. Konflikte vor dem Hintergrund differenzierter kultureller Identitäten werden verstärkt durch grenzüberschreitende und innerstaatliche Migration. Dem ist mit einer Politik der globalen Kohäsion zu begegnen.

 

 

C Demokratie

Es ist an der Zeit, effiziente demokratische Strukturen von „Global Governance" zu entwickeln. Aber es gibt noch Hindernisse für demokratische Entscheidungen in der globalen Politik. „Good Governance", die den Herausforderungen der Globalisierung gerecht wird, muss effektiv, demokratisch und rechtsstaatlich sein, zuerst in den einzelnen Staaten, aber auch auf globaler, regionaler, subregionaler und lokaler Ebene.

Ein System für „Global Governance" muss

einen rechtsstaatlichen Rahmen für zwischenstaatliche Konfliktlösung wie den Internationalen Gerichtshof, den Internationalen Strafgerichtshof, das Internationale Zentrum der Weltbank für die Streitbeilegung in Investitionsfragen haben.

den UN-Sicherheitsrat für Nachhaltige Entwicklung in Ergänzung zum reformierten Sicherheitsrat umfassen.

effektive Normen und Mechanismen zum Schutz der Biosphäre enthalten.

ein System internationaler Institutionen, das die Weltwirtschaft stabilisiert, schaffen.

 

 
Ein wesentliches Element dabei ist die Transparenz der demokratischen Entscheidungen und Prozesse. Umso höher die Ebene der Entscheidungen, desto notwendiger ist diese Anforderung an Transparenz. Die Organisationen der Zivilgesellschaft haben im Prozess der Herstellung von Transparenz auf globaler Ebene eine wesentliche Rolle gespielt. Die Teilnahme der Zivilgesellschaft an „Global Governance" ist im letzten Jahrzehnt gewachsen. Dank dieses großen Engagements und des damit verbundenen Wissens konnten Gewerkschaften und Sozialpartner einerseits, die NGOs andererseits, eine wesentliche Rolle bei den Weltkonferenzen spielen. Sie haben einen konsultativen Status bei den Vereinten Nationen erreicht, der nicht eingeschränkt werden darf. Allerdings darf die Rolle der NGOs auch nicht überschätzt werden. Sie beeinflussen die Entscheidungen auf globaler Ebene durch ihr Wissen und ihr Engagement aber sie sind nicht selber Träger der Entscheidungen. Demokratisch gewählte Parlamente und Regierungen sind die einzigen legitimierten Akteure, um globale Regeln und Standards zu setzen und entsprechende globalpolitische Entscheidungen zu treffen. Nur sie sind rechenschaftspflichtig gegenüber ihrer Wählerschaft. Es ist nicht möglich, diese Verantwortung an private Akteure – seien es NGOs, seien es multinationale Unternehmen - zu übertragen.
Die Entwicklung der Demokratie in den vergangenen zwei Jahrhunderten war bestimmt von der Entwicklung von politischen Parteien. Wettbewerb zwischen Parteien erlaubt es den Bürgern, zwischen politischen Alternativen zu wählen, die unterschiedliche Werte, Theorien und Projekte bündeln.
 
Parteien sind Mittler zwischen der Gesellschaft und den Regierungen. Sie erfüllen die Funktion der politischen Integration. Parteien wurden mißbraucht in totalitären und autoritären politischen Systemen, insbesondere durch Kommunismus und Faschismus.
 
Einparteiensysteme sind entstanden, die das fundamentale Gegenteil des Selbstverständnisses demokratischer Parteien sind, die unter einander im Wettbewerb um Wählerstimmen stehen.
Einparteiensysteme stehen nicht nur im Widerspruch zum Selbstverständnis demokratischer Parteien, sondern zum Parteibegriff überhaupt.
Im demokratischen Europa hat sich die Alternative zwischen Parteien der demokratischen Linken und der demokratischen Rechten entwickelt. Das politische Prinzip von Rechts und Links ist Grundstruktur der demokratischen Institutionen, ausgehend von dem nach der französischen Revolution gewählten Parlament und gültig in den meisten Parlamenten Europas.
1951 haben sich die Parteien der demokratischen Linken zur Sozialistischen Internationale zusammengeschlossen, 1983 die Parteien der demokratischen Rechten zur Internationalen Demokratischen Union.
Dann hat es ja seine Ordnung :-) 
Die Globalisierung erfordert es, dass die großen Parteiengemeinschaften ihre Arbeit intensivieren. Auch auf Weltebene sind alternative politische Grundwerte und Strategien erforderlich.
Es ist ein Ziel der SI, das globale politische System zu parlamentarisieren mit der Repräsentation von politischen Parteien, die ihre globalpolitischen Werte, Theorien und Projekte vertreten. Aus diesem Grunde sind Überlegungen über eine parlamentarische Versammlung der Vereinten Nationen erforderlich. Vorläufer dazu ist die Interparlamentarische Union, die bereits vor über einem Jahrhundert gebildet wurde. Inzwischen ist eine parlamentarische Versammlung der WTO institutionalisiert worden. Wenn die Parlamentarisierung auf globaler Ebene funktionieren soll, brauchen die großen Parteienfamilien Verbindungen zu den Parteien, die nicht zu ihnen gehören. Das ist der Fall in den USA, Russland und China, drei Vetomächte im UN-Sicherheitsrat und gleichzeitig Atommächte. China ist der bevölkerungsreichste Staat der Welt, die USA hat die stärkste Wirtschaft. Es wird schwierig sein, globale politische und demokratische Alternativen in einer möglichen parlamentarischen Versammlung der UNO zu repräsentieren ohne das Engagement von Parlamentariern aus diesen Staaten.

Jetzt wird es endlich interessant.

 

D Aktionsplan der Sozialistischen Internationale für globale Demokratie

Mit dem Beschluss über Governance in einer globalen Gesellschaft hat die Sozialistische Internationale ihre demokratischen globalen Politikziele formuliert und gleichzeitig Konzepte und Strategien zu ihrer Umsetzung beschlossen. Das bildet die Basis für die zukünftige Arbeit der Sozialistischen Internationale und ihrer Mitgliedsparteien auf dem Gebiet globaler Politik.
 

1. Die Sozialistische Internationale will ihr Konzept von Governance in einer globalen Gesellschaft zur weltweiten Diskussion stellen mit einem breiten Spektrum von zivilgesellschaftlichen Organisationen, das heißt NGOs, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, wie auch mit Wissenschaftlern und Forschern. Der erste Schritt wird das Global Progressive Forum sein, das im November 2003 in Brüssel stattfindet. Die Sozialistische Internationale will teilnehmen am Weltsozialforum im Januar 2004 in Mumbai.
 
Tja, dann sollten wir uns mal anmelden.
2. Die Sozialistische Internationale will ihr Konzept von Governance in einer globalen Gesellschaft mit anderen weltweit organisierten demokratischen Parteiengemeinschaften diskutieren, insbesondere mit der Internationalen Demokratischen Union.
3. Die Sozialistische Internationale will die Arbeit von Parlamentariern ihrer Mitgliedsparteien auf internationalen Parlamentarier-Konferenzen, insbesondere in der Interparlamentarischen Union wie auch in Konferenzen in Verbindung mit der WTO, der Weltbank und der UNESCO koordinieren und, wo immer möglich, gemeinsame Positionen formulieren.
 
4. Die Sozialistische Internationale will Konzepte für die Globalpolitik der großen Regionen der Welt erarbeiten. Dies gilt für Nordamerika, Lateinamerika, Europa, Rußland und die Staaten der ehemaligen Sowjetunion, den Mittleren Osten, Afrika, die Asiatischen Regionen sowie Australien und Neuseeland. Es gilt dabei vor allem, Globalpolitik auf die spezifischen Konditionen der einzelnen Regionen zu beziehen.
 
5. Die Sozialistische Internationale will zu Beginn jeden Jahres ihren Beitrag leisten zu den dann anstehenden großen globalpolitischen Projekten wie auch zu den Konferenzen, die von der UNO, den internationalen Finanzinstitutionen und den G8 abgehalten werden. Sie will dabei Vorschläge und Forderungen formulieren und sie bemüht sich darum zu verfolgen, wie ihre Position in die entsprechenden Beschlüsse eingehen.
 
6. Die Sozialistische Internationale wird die Kooperation zwischen den Repräsentanten ihrer Mitgliedsparteien einerseits, und Mitarbeitern der UNO, der internationalen Finanzorganisationen und anderer internationaler Institutionen andererseits, organisieren.
 
7. Die Sozialistische Internationale will ihr Konzept von Global Governance umsetzen, indem sie Einfluss zu nehmen sucht auf die Politik ihrer Mitgliedsparteien, um sie stärker zu verknüpfen.
 
8. Die Sozialistische Internationale will die Arbeit der Parlamentarier ihrer Mitgliedsparteien in Regionalkonferenzen koordinieren, wie zum Beispiel bei der OSZE oder dem Europarat, letzteres in Kooperation mit der Sozialdemokratischen Partei Europas.
 
9. Die Sozialistische Internationale ist bereit, die Beteiligung von Parteien und Parlamentariern bei der Beeinflussung globaler Politik mit anderen weltweit operierenden Vereinigungen von Parteien zu diskutieren und sich dabei auf gemeinsame Verhaltensweisen zu einigen, wo immer dies sinnvoll ist.
 

10. Die Sozialistische Internationale versucht zusammenzuarbeiten mit Parteien in großen Staaten und in Regionen, die bislang nicht zu den großen Gemeinschaften demokratischer Parteien gehören. Dies bezieht sich vor allem auf die Kooperation mit den Demokraten in den Vereinigten Staaten und berührt auch die Zusammenarbeit mit den demokratischen Parteien in Russland.

In China stellt sich die Frage der Entwicklung von Beziehungen mit der Kommunistischen Partei Chinas, obwohl diese nicht dem Konzept einer demokratischen Partei entspricht, wie es die Sozialistische Internationale formuliert hat. Der Transitionsprozess, der in China abläuft, wird dabei von der SI aufmerksam beobachtet.

 

  

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