Hallo Austrianer,

Deine Posting wiederholt das kritisierte Argumentationsschema, aber egal, ich kann es nochmals versuchen:

die Nazis begannen mit Verhaftung und Verbot der Kommunisten, danach mit Sozialdemokraten und allen anderen, die in politischer Opposition zum NS standen. Schnell auch ging die Hetze gegen Juden, Sinti und Roma, gegen Homosexuelle und sogar gegen die Schutzlosesten, nämlich die körperlich und geistig Behinderten in Aussonderung und Verfolgung über. - Soweit richtig? (=1.Frage)

Diese Verfolgung schloss den Mord mit ein und machte auch keinen Bogen um diejenigen, die Hitler aus den eigenen Reihen eingebildet oder tatsächlich gefährlich werden konnten. Ein Beispiel hierfür war der Mord an Röhm und Konsorten. - Soweit richtig? (=2.Frage)

In den Gefängnissen, Folterkammern, Arbeitslagern und Konzentrationslagern wurden für all diese sehr unterschiedlichen Opfergruppen zusammen gebracht. Einschließlich gewöhnlicher (=unpolitische) Krimineller, die sich am leichtesten missbrauchen lassen. 

Die Opfergruppen waren aber nicht nur "verschieden", sondern häufig sogar grundlegend "gegensätzlich" und einander feindlich gesonnen. Und das wirkte sich verheerend auf die Moral auch der Opfer aus. So berichteten mir kommunistische Zeitzeugen von entsetzlichem Verrat an anderen Inhaftierten, um sich die Mitglieder der jeweils eigenen Opfergruppe möglichst lange zu erhalten, aber selbst darin gab es Durchbrechungen und die Aktivsten kümmerten sich nur um die Aktivsten, was sie "Widerstandsgruppe" nannten und sicherlich auch ein Stück weit war, aber kaum wirklichen Widerstand zu leisten vermochte, denn ohne Erfolg des Widerstandes außerhalb der Lager war ihnen keine Rettung möglich. 

Der "Widerstand" reduzierte sich weitgehend auf die Bewahrung des Ichs, auf die Bewahrung der Hoffnung gegen die fast unausweichliche Perspektive der Vernichtung. 
Die Ich-Bewahrung ist die Hauptaufgabe in solch Situation. Dass sie zulasten anderer ging, wurde vielen zum dauerhaften Trauma. 

Opfer können oft nicht über das reden, was sie durchlitten haben, denn die Erinnerung verletzt sie seelisch neu. So ergeht es vielen Opfern von Gewalt, nicht nur den NS-Opfern, sondern auch Vergewaltigten, Entführten und anderen.

Aber bei KZ-Überlebenden kommt häufig noch etwas hinzu, was diesen "gewöhnlichen" Opferschmerz steigert: dass sie sich "schuldig" fühlen, entweder weil sie in all dem Leid auch noch "schuldig" gegenüber anderen wurden oder weil sie sich selbst nicht verzeihen können, dass "ausgerechnet" sie überlebten und nicht die vielen anderen.

Und Du Tastaturianer willst denen erzählen, dass es da "auch schuldige Juden" gab?  Klar gab es die "schuldigen Juden", nämlich  wie die "schuldigen" Kommunisten, Sozialdemokraten und Christen auch.  Und international nicht anders als in jeder sonstigen Zeit: auch Stalin war gewiss kein "Opfer" Hitlers, sondern wollte mit ihm Polen und Europa teilen, aber die Schurkenfreundschaft hielt nur so lange, bis Hitler sein Vertragsversprechen brach. Was ändert die Stalin-Schuld am Holocaust? Es gehörte zum System, dass sich das Pack mit Pack verbündet und zerfleischt. Und davon gibt es überall. 

Aber wenn die Menschen nicht mehr zum Urteil fähig sind, weil in jedem Schurken noch ein Rest von Liebe ist und weil kein Opfer einem Jesus gleicht, dann freuen sich daran nur Schurken, dass jedes Maß verloren ist und allein noch zählt, wer sich am meisten daraus holt. 
 
Doch zurück zur Opferperspektive: die schlimme Erfahrung als Opfer zum Täter zu pervertieren, machten nicht nur Holocaust-Überlebende, 
sondern zum Beispiel auch die Menschen in untergehenden Schiffen, wenn sie andere ertrinken lassen, sogar Gewalt anwenden, die Schreie hören bis an das eigene Lebensende.

Und solche Erfahrungen machten auch die hungernden Soldaten in Stalingrad und in der Gefangenschaft.

Ich kann mir kein Elend vorstellen, das in seiner Einmaligkeit nicht dennoch vergleichbar ist mit anderem Elend, aber das mindert keinerlei Elend und erst recht kein Unrecht, das in all solches Elend führte.  Und schmälern sollte man es nicht, denn die Angst und das Leiden der Juden, aber auch ganz besonders der Sinti und Roma und des politischen Widerstandes dauerte lange, viel zu lange für alle, die ihn überlebten.  Ich lernte Menschen kennen, die nie im Fernsehen waren, weil sie Opfer von "medizinischen Versuchen" wurden, die sie komplett verstümmelten - und nichts ertragen sie an Erinnerung. Gar nichts. Darum sind mir viele "Erinnerer" SUSPEKT, wofür ich auch mit www.inidia.de/mahnmal.htm bekannt bin, aber die "Vergessenmacher" und Geschichtsverdreher sind mir der absolute Abschaum. Und auch damit wird verdient, was Du nicht übersehen solltest. Verdient an Idioten wie Dir, aber möglich, dass auch Du auf solche "Verdienste" spekulierst.  Und da sind mir die suspekten Erinnerer schon noch deutlich lieber. Aber da geht es auch Hand in Hand. Und die Übergänge zu den Gutmeinenden sind auf der einen Seite so fließend wie auf der anderen. Mir machen es da nur wenige recht. Und ich mir selbst kaum besser. Aber es ist wahrhaftig nicht mein einziges Ding, wie Du offenbar meinst, weil ich überhaupt bereit bin, mit solchen wie Dir zu streiten.  Aber andere Dinge scheinen Dich ja nicht zu interessieren.

Darum weiter in der Mottenkiste, aber für mich nie ohne Bezug zum Heute:  Hitler hatte Helfer. Der wohl wichtigste Helfer war das Elend durch den verlorenen ersten Weltkrieg und Versailles. Aber dann waren da auch bald Leute wie Fritz Thyssen und später auch international agierende Konzerne wie Ford und IBM, Banken in der Schweiz, die erst dann nicht mehr am Terror und Judenverfolgung der Nazis mitverdienten, als ihnen die eigene Politik aufs Dach stieg und als die Nazis in Zahlungsprobleme gerieten. All das sind Mittäter, Helfer, also mehr als nur bloße Versager. Auch solche gibt es in jedem Terrorregime und in jedem Krieg. 

Und das war auch ein Grund, weshalb ich Leuten wie Bush die Legitimation versagte, einen Terroristen wie Bin Laden oder einen Diktator wie Saddam Hussein zur Hölle zu schicken, die sie jahrelang gefördert und missbraucht hatten. Bush hatte dazu keine Legitimation. Auch kein Blair, keine Merkel und ebenso auch kein Scharon. 

Zu solchen Aktionen gegen Diktatoren, Terrorismus und Massenvernichtungswaffen braucht es anderes und neues demokratisches Völkerrecht, Gerichte und Durchsetzungskräfte - und dann geht es auch anders ab. 

Du musst schon ziemlich bescheuert sein, diese Welt samt mich als geschlossenes Gegenüber zu Deinem ideologischen Wurmloch zu sehen, wenn es doch viel mehr Probleme und selbstverständlich auch mehr Ansichten gibt als meine oder aber auch Dein reduziertes, auf chronischen Hass und geistige Mittäterschaft gewandelt schlechtes Holocaust-Gewissen. 

Und noch ein Vergleich zwischen damals und heute: Immer gab und gibt es Kollaborateure in besetzten Gebieten, denn die neuen Machthaber haben es durch solche Leute leichter und fordern direkt und immer dazu auf, oft mit Erfolg. Auch das war nie anders, wird nie anders sein.

Dennoch kann nichts von alledem Grund sein, diejenigen aus der Haftung zu entlassen, die sich hauptschuldig machen, die man erwischen kann, denn zu viele Verbrecher kommen ohnehin schon ungeschoren davon. Zum Beispiel Stalin, aber der wurde durch Hitler zum "Sieger", zum "Helden" in einer Sowjetunion, in der er selbst ein Massenmörder war.
Ich würde die Mitläufer eher geschont haben und nicht gesteinigt sehen wollen, wie es in Frankreich mit vielen Kollaborateuren passierte, aber die Haftung sollte prinzipiell niemandem erspart bleiben, denn die Mitläufer sind eben keine, die bloß auf "Trittbrettern" stehen, sondern solche, die treten und Instrumente sind. Wenigstens um "Verzeihung" sollen sie bitten, wenn schon "Entschuldigung" nach solchen Verbrechen unmöglich ist. - Aber das überfordert viele Menschen zu sehr, sich solche Verbrechen einzugestehen, weshalb "solche wie ich" Maß halten sollten mit dem Anspruch auf Reue. Aber "solchen wie mir" kann der Verzicht auf Reue auch leichter fallen als solchen wie Wiesenthal, die das KZ überlebten. Schon deshalb werde ich mir nicht anmaßen, für solche zu sprechen. Aber empfehlen werde ich immer zu allem Wunsch nach Gerechtigkeit auch die Gnade und Nachsicht. Da bin ich "Christ" drin, zumindest im Anspruch und das ist auch richtig so, ansonsten wäre die Welt längst an der Unvernunft der Rache zugrunde gegangen. 
  
Also gab es diejenigen und sicher reichlich, die mit dem NS-Regime kooperierten, daran verdienten, selbst zu Verbrechern wurden. Keinen Antifaschisten hörte ich jemals anderes sagen. 

Was also willst Du? Wen klagst Du an?  "Die Juden"? "Die Franzosen"? Sie alle sind so wenig anzuklagen wie "die Deutschen", aber nur bei letzteren würdest Du das gelten lassen und singst dazu exakt das Lied ausgerechnet derer, die sich zur "Herrenrasse" aufschäumten und das massenhafte Verbrechen und Versagen zum politischen System machten.

Glaubst Du, dass Auschwitz "in einem anderen Licht" erscheine, weil die Nazis internationale Helfer hatten? Dann wollten die Nazis nicht, was sie taten? Dann sind ihnen und Dir "die Juden" mit gleicher Wertigkeit zu betrachten? Und niemand ist "Herrenmensch"? Egal ist das nicht, aber doch so peinliche Nebensache heute, dass man überhaupt noch solchen wie Dir begegnet. 

Eingeräumt: Auch mir wäre es lieber, wenn die Amtssprache in den KZ nicht "Deutsch" gewesen wäre. Wenn da die Lügen wie "Arbeit macht frei" und "Jedem das Seine" nicht in der Sprache MEINES Denkens an den Toren stünde, obwohl ich keines dieser Tore entwarf, befahl und dahinter unschuldige Menschen einsperrte. Aber diese Verbrechen beschmutzen auch mich. Vor allem dann, wenn es dafür noch "Verteidiger" gibt und ich solche dulde. 

Eingeräumt: Auch ich versuchte als Kind einen Ausweg aus diesem Dilemma, dass solches im Namen meines Landes geschehen war. Auch ich fragte nach der "Mitschuld der Juden", unter anderem, warum sie nicht entschiedener Widerstand geleistet haben usw., aber wie kindlich naiv war das, dass normale Menschen zu Helden würden, weil sie zu Opfer gemacht werden. Das genau ist doch nie Gang der Dinge und Ausnahme bleibt Ausnahme, was allemal für die Menge der Helden gilt, auf die man spekulieren darf. 

Und das ist der Punkt: aus Opfern macht mir keine Täter und keine Rechtfertigung für das, was in deutschem Namen und deutschen Buchstaben geschah. 

Sei Du vorsichtig, wenn Du Dir Bilder von mir machst. Das machten schon andere. Denn ich bin nicht Jesus, jedenfalls nie genug davon. Wenn jemand schwach ist, dann hilft ihm das bei mir, aber wenn einer auf Menschen tritt, die sich nicht wehren können, weil von ihnen falsch gesprochen wird, dann sollen die Treter in ihren Stiefeln so tief erniedrigt werden, bis sie flehen, dass die Menschen im Werte gleich seien und dass sie noch dazu gehören. Das gilt für Dich. Das gilt für Bush und Saddam Hussein, das gilt für jeden, denn "Jedem das Seine" macht Sinn. Aber nicht den der Nazis. 

Vergessen wir Dein Eingangsposting nicht: Du hast geheuchelt, was Deine "Zweifel" anbelangt. Lasse das.
Wenn Du aus Deinem Schmutz raus willst, dann musst Du Dich waschen oder waschen lassen.  Und Du solltest glücklich sein, dass ich das mit Dir versuche. Ich hoffe sehr, dass Du jung bist, sehr, sehr jung, damit Du Dir später nachsehen kannst, was Du jetzt für ein Zeug vertrittst.

Grüße von Sven
Redaktion



Holocaust und das Schweigen