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          Rede von Bundesaußenminister Fischer vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen,
 New York, 19.03.2003
 
 Herr Präsident,
 ich danke der Präsidentschaft des Sicherheitsrats für ihre gute
 Arbeit in diesen schwierigen Tagen.
 
 Der Sicherheitsrat versammelt sich heute in einer dramatischen
 Situation. In diesen Stunden steht die Welt unmittelbar vor
 Beginn eines Krieges im Irak. In dieser Situation kann der
 Sicherheitsrat nicht schweigen. Mehr denn je gilt es heute, seine
 Funktion zu wahren und seine Relevanz zu erhalten. Um dies zu
 unterstreichen, sind wir heute erneut in New York
 zusammengekommen.
 
 Die Entwicklungen der letzten Stunden haben die internationale
 Lage grundlegend verändert und die Arbeit der Vereinten Nationen
 vor Ort zum Erliegen gebracht. Diese Entwicklung gibt Anlass zu
 tiefster Sorge.
 
 Dennoch will ich Dr. Blix für seine Erläuterungen zum
 Arbeitsprogramm danken. Deutschland unterstützt seinen Ansatz
 auch unter den jetzigen Umständen uneingeschränkt. Das
 Arbeitsprogramm mit seiner realistischen Beschreibung der noch
 offenen Abrüstungsfragen liegt jetzt vor uns. Es ist eine klare
 und überzeugende Handlungsanweisung zur friedlichen Abrüstung
 des Iraks binnen kurzer Frist. Es ist mir wichtig, diese Tatsache
 gerade am heutigen Tag zu unterstreichen. Entlang dieser Vorgaben
 mit engen Fristen ist die friedliche Abrüstung des Iraks
 möglich. Die friedlichen Mittel sind also nicht erschöpft. Auch
 und gerade deshalb lehnt Deutschland den drohenden Krieg
 entschieden ab.
 
 Wir bedauern zutiefst, dass unsere großen Anstrengungen, den
 Irak nach SR-Resolution
 1441 mit friedlichen Mitteln zu entwaffnen, nicht zum Erfolg
 zu führen scheinen. Zusammen mit Frankreich und Russland haben
 wir in den letzten Wochen immer wieder Vorschläge für ein
 effizienteres Inspektionsregime mit klaren, terminierten
 Abrüstungsschritten gemacht – zuletzt noch am 15. März.
 Auch andere Mitglieder haben dazu konstruktive Vorschläge bis in
 die letzten Stunden der Verhandlungen hinein vorgelegt. Wir sind
 ihnen für ihre Bemühungen dankbar.
 
 In den vergangenen Tagen sind wir unserem gemeinsamen Ziel,
 der Gefahr irakischer Massenvernichtungswaffen durch
 vollständige und umfassende Rüstungskrontrolle wirksam zu
 begegnen, deutlich näher gekommen. Gerade in jüngster Zeit gab
 es substantielle Fortschritte in der Abrüstung. Die
 Verschrottung der Al-Samoud-2-Raketen machte Fortschritte,
 mittlerweile sind 70 davon zerstört. Und das Regime in Bagdad
 beginnt unter Druck, die offenen Fragen zu VX und Anthrax
 aufzuklären.
 
 Die Kooperationsbereitschaft des Irak war nicht zufrieden
 stellend, sie verlief zögerlich und langsam, darüber besteht im
 Rat Einigkeit. Aber kann dies allen Ernstes ein Grund für einen
 Krieg und all seine schrecklichen Folgen sein?
 
 Es besteht kein Zweifel daran, dass Bagdad gerade in letzter
 Zeit stärker zu kooperieren begann. Die irakischen Informationen
 an UNMOVIC und IAEO sind Schritte in die richtige Richtung. Die
 Vorgaben der SR-Resolutionen werden mehr und mehr erfüllt. Warum
 aber sollte man jetzt – gerade jetzt – den Plan
 aufgeben, den Irak mit friedlichen Mitteln zu entwaffnen? Die
 Mehrheit der Mitglieder des Sicherheitsrats ist der Meinung, dass
 es keinen Grund gibt, den Abrüstungsprozess unter der Kontrolle
 der Vereinten Nationen jetzt abzubrechen.
 
 Lassen Sie mich vor diesem Hintergrund drei Punkte
 klarstellen:
 
 
 Der Sicherheitsrat hat nicht versagt. Wir müssen dieser
 Legende entgegen wirken. Der Rat hat die Instrumente
 bereitgestellt, um Irak friedlich abzurüsten. Für das,
 was außerhalb der VN geschieht, ist er nicht
 verantwortlich.
 Wür müssen klar feststellen: Unter den gegebenen
 Umständen hat die Politik der Militärintervention keine
 Glaubwürdigkeit. Sie wird nicht von unseren
 Bevölkerungen unterstützt. Wenig hätte es bedurft, um
 die Geschlossenheit des Sicherheitsrates herzustellen.
 Für einen Regimewechsel mit militärischen Mitteln gibt
 es in der Charta der VN keine Grundlage.
 Wir müssen das Inspektionssystem erhalten und das
 Arbeitsprogramm indossieren, denn wir werden beides auch
 nach Beendigung von militärischen Kampfhandlungen
 brauchen. Die Resolutionen 1284 und 1441 sind nicht
 aufgehoben, auch wenn es einiger Anpassungen bedarf.
 
 
 Herr Präsident,
 Deutschland ist überzeugt, dass die Vereinten Nationen und der
 Sicherheitsrat weiterhin die zentrale Rolle im Irakkonflikt
 spielen müssen. Dies ist für die Ordnung in der Welt von
 entscheidender Bedeutung und muss auch für die Zukunft
 gelten. Die VN sind die wichtigste Institution für den Erhalt
 von Frieden und Stabilität und für den friedlichen
 Interessensausgleich in der Welt von heute und morgen. Für ihre
 friedensbewahrende Funktion gibt es keinen Ersatz. Der
 Sicherheitsrat trägt die Hauptverantwortung für die Wahrung des
 Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Die weltweit von
 Millionen von Menschen verfolgten Verhandlungen über die
 Irakkrise der vergangenen Wochen und Monate haben gezeigt, wie
 relevant, wie unverzichtbar, wie alternativlos die
 friedensstiftende Rolle des Sicherheitsrats ist.
 
 Wir brauchen weiterhin ein wirksames internationales
 Nichtverbreitungs- und Abrüstungsregime, das die Gefahr der
 Verbreitung von Massenvernichtungswaffen beseitigt und das
 hierbei entwickelte Instrumentarium nutzt, um die Welt sicherer
 zu machen. Die Vereinten Nationen sind der einzig richtige Rahmen
 dafür. Abrüstungskriege können doch allen Ernstes nicht unsere
 Perspektive sein!
 
 Die humanitären Folgen eines Krieges im Irak erfüllen uns
 mit tiefer Sorge. Es geht jetzt darum, alles nur mögliche zu
 tun, um eine humanitäre Katastrophe abzuwenden. Der
 VN-Generalsekretär wird hierzu Vorschläge vorlegen. Der
 Sicherheitsrat hat gestern seine Bereitschaft erklärt, diese
 Vorschläge aufzugreifen. Mit dem Oil-for-food-Programm haben die
 Vereinten Nationen 60% der irakischen Bevölkerung mit dem
 Lebensnotwendigen versorgt. Diese Erfahrungen müssen auch
 künftig genutzt werden.
 
 Herr Präsident,
 eine sehr große Mehrheit der Menschen in Deutschland und in
 Europa ist voll tiefer Sorge über den drohenden Krieg im der
 Irak. Unser Kontinent hat die Schrecken des Krieges nur allzu oft
 erleben müssen. Wer unsere europäische Geschichte kennt, der
 weiß, dass wir nicht auf der Venus leben, sondern die
 Überlebenden des Mars sind. Krieg ist furchtbar, er ist eine
 große Tragödie für die Betroffenen und für uns alle und darf
 wirklich nur letztes Mittel sein, wenn alle friedlichen
 Alternativen erschöpft sind.
 
 Und dennoch hat Deutschland zweimal in den letzten Jahren die
 Notwendigkeit des Krieges akzeptiert, weil alle friedlichen
 Alternativen erschöpft waren: Deutschland hat an der Seite
 seiner Verbündeten gekämpft, als es im Kosovo darum ging, die
 massenhafte Vertreibung der albanischen Bevölkerung und
 einen drohenden Völkermord zu verhindern. Und als es nach den
 schrecklichen und verbrecherischen Anschlägen auf die Regierung
 und das Vold der Vereinigten Staaten in Afghanistan darum ging,
 den Kampf gegen den menschenverachtenden und gefährlichen
 Terrorismus der Taliban und von Al Qaida zu führen. Wir werden
 zu unserer Verpflichtung in diesem Kampf gegen den Terror stehen.
 
 Jetzt aber sind wir in Deutschland nicht davon überzeugt,
 dass es zu militärischer Gewalt als letztem Mittel keine
 Alternative mehr gibt. Wir sind ganz im Gegenteil der Auffassung,
 dass die Abrüstung des Irak mit friedlichen Mitteln durchgesetzt
 werden kann. Daher werden wir jede Chance zum Frieden nutzen, und
 sei sie auch noch so klein.
 
 Ich danke Ihnen.
 
 
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