Schuldfragen
die "peinlichen Fragen" zu geschichtlicher Täterschaft

Hallo Repstar,

es ist zunächst mal nicht verwerflich, wenn Du Deinem Großvater gegenüber loyal sein möchtest. Der Loyalitätsanspruch kommt hoffentlich auch Deinem näheren Verwandten und Vater zuteil, ansonsten müsste man annehmen, dass Dir die Loyalität reine Fiktion ist und abhängig vom Unwissen um die reale Person?

Wenn Du Deinen Großvater kanntest, was hat er Dir dann vom Krieg erzählt? 
Ob er Menschen gerettet hat? 
Ob er Menschen getötet hat? 
Und ob der Krieg "richtig" war 
einschließlich seiner Ziele? 
Empfand auch er sich als "Herrenmensch" und wollte die "slawischen Untermenschen" entrechten, "Lebensraum erobern"?

Diese Fragen müsste er Dir beantworten. Wenn er nicht mehr leben sollte, dann beantworte Dir diese Fragen selbst.

Ohne Antwort auf jede dieser Fragen ist jede Erörterung, ob jemand "Verbrecher" war, um seinen Gegenstand beraubt, also gegenstandslos.

Als Kind traute ich mich nicht, diese "peinlichen Fragen" zu stellen, denn ich wollte niemanden vor den Kopf stoßen. 
Den jugendlichen Rigorismus ablegend lernte ich allmählich, dass kaum jemand ohne Makel ist, was nicht selten darauf beruht, Schlechtes in gutem Glauben getan zu haben. 
Urteile über Menschen sind deshalb nur richtig, wenn sie all solches Unterscheiden in sich haben, also auch, dass Menschen aus Fehlern lernen können, sich ändern.

Und das gilt dann sogar auch für solche Menschen, die unübersehbar offen und bewusst Schlechtes tun. 

Ich sehe den Menschen nicht in so gerader Spur, wie er sich selbst gern sieht oder von Verehrern bescheinigen lässt, sondern halte "Irren ist menschlich" für wirklich wahr und unvermeidlich. 

Allerdings kann unter anderem der Dialog leisten, dass man sich Irrtümer erspart. Aber nicht nur der Dialog ist dafür wichtig, sondern auch Gesetze, deren Zustandekommen und Durchsetzung.

Und in diesem Dialog lernte ich auch das Stellen der "peinlichen Fragen". 
Sicherlich fragte ich mehr als Du es bislang tun konntest. Das liegt einerseits daran, dass ich mehr Zeit für Politisches hatte, weil ich vermutlich viel älter bin als Du, was zugleich auch bedeutet, dass ich viel mehr Menschen der Kriegsgeneration kennenlernen konnte. 
Zu all dem liegt es sicherlich auch daran, dass ich aus einer Familie stamme, in der sich nationale, politische und religiöse Richtungen verquerten. Schon deshalb war mir einseitige Betrachtungsweise verwehrt. 

Dass unsere Familie "binational" wurde, geschah in Folge des 1.Weltkrieges.  Wir ließen uns durch den NS-Weltkrieg nicht teilen. Dennoch war und ist es teilweise auch heute noch so, dass "viel geschwiegen" wurde/wird - vielleicht aus Rücksichtnahme.  Auch das wäre legitim.  Auf großen Familienfeiern ist in Ansprachen meist nur von "furchtbaren Jahren" die Rede.
Aber die Rücksichtnahme muss einem zumindest bewusst sein, damit sich keine Irrtümer erhalten und keine neuen  Irrtümer entstehen.

Das Urteil über Menschen der Kriegsgeneration wie Deinen Großvater oder den ehemaligen Bundespräsidenten hängt  davon ab, was sie konkret taten und was sie für Schlüsse daraus zogen - unter anderem auch im Hinblick darauf, was Du aus der Geschichte lernen solltest.

Deshalb: Nicht zuletzt von Deinen Antworten hängt also ab, in welchem Licht bzw. Schatten uns Dein Großvater erscheint und steht.

Und nun zur Logik eines Urteils - immer eingedenk, dass das Gesamturteil über einen Menschen nur in Gesamtbetrachtung seines wechselvollen Lebens möglich ist. Aber wir kommen nicht umhin, auch Einzelnes zu betrachten und zu beurteilen, weil sich daraus das Gesamte ist:

Der nationalsozialistische Krieg gegen die Nachbarn war ein Unrecht - und zwar ein sehr großes Unrecht, ein "Verbrechen". 

Bist Du soweit meiner Meinung?

Wenn jemand an einem Verbrechen unterstützend teilnimmt, dann macht er sich zum "Verbrecher".

Und nun bin ich aber erklärtermaßen Gegner von Todesstrafe und auch "Totschlag-Argumenten". 

Deshalb verlange ich von solchen Verbrechern nur, was ihnen (allerdings) möglich ist:
1. das Eingeständnis,
2. die Reue,
3. die Besserung,
4. den Schadensersatz, aber nicht jeder Schaden lässt sich ersetzen. Mit dieser Wahrheit müssen sich Angehörige von Opfern abfinden wie auch die Täter. Diese Last bleibt. Aber besser als Mahnung zur Versöhnung und nicht als Benzin für rächendes Feuer.

Der von mir geschätzte, aber auch kritisierte Schriftsteller und Historiker Ralph Giordano sagte in Erinnerung an den Bombenkrieg etwa wie folgt:

"Wenn die Sirenen ertönten, der Lärm der Flugzeugmotoren über die Stadt kam und die Bomben fielen, dann freute ich mich, denn das waren meine Befreier. - Daran sieht man, dass der Krieg nicht nur seine Anhänger enthumanisiert, sondern auch seine Opfer."

Diese Mahnung gilt an die Adresse der Opferseite. Und das wird nicht immer verstanden. 

ABER solche Mahnung steht nicht denen zu, die sich damit der Mahnung an die Täteradresse zu entledigen versuchen. - Selbst dann nicht, wenn die Mahnung den selben Wortlaut hätte.  Das ist nicht mit "zweierlei Maß" gemessen, sondern es hat zweierlei Maß:  wer etwas sagt und warum.
 
Grüße von
Sven
Redaktion

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