Kriegsopfer

OLG Köln entscheidet über die Berufung der Opfer eines NATO-Luftangriffs auf die serbische Kleinstadt Varvarin

Im Rechtsstreit zwischen den Opfern eines NATO-Luftangriffs auf die serbische Kleinstadt Varvarin und der Bundesrepublik Deutschland hat das OLG Köln mit heute verkündetem Urteil die Berufung der Kläger gegen das klageabweisende Urteil des LG Bonn zurückgewiesen (OLG Köln, Urteil v. 28.07.2005 - 7 U 8/04, nicht rechtskräftig).

Die Kläger, insgesamt 35 Personen, sind die Opfer bzw. die Angehörigen von Opfern eines Luftangriffs von Kampfflugzeugen der NATO, durch den am 30.05.1999 die Brücke in der serbischen Kleinstadt Varvarin zerstört wurde. Hierbei wurden 10 Menschen getötet und insgesamt 30 verletzt, davon 17 schwer; alle Opfer waren Zivilpersonen.

Der Luftangriff erfolgte auf der Grundlage eines Beschlusses der NATO-Mitgliedsstaaten zur Durchführung von Luftoperationen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien im Rahmen des damaligen Kosovo-Konflikts. Unstreitig waren deutsche Flugzeuge an dem Raketenangriff auf die Brücke nicht unmittelbar beteiligt.
Ob und inwieweit sie durch Aufklärung, Begleit- oder Luftraumschutz Unterstützungsleistungen erbrachten, ist zwischen den Parteien streitig.

Die Kläger nehmen die beklagte Bundesrepublik auf Zahlung von Geldentschädigungen in Anspruch, wobei sie einzeln jeweils Mindestbeträge zwischen 5.000 und gut 102.000 Euro, insgesamt mindestens über 535.000 Euro, fordern. Sie machen im Wesentlichen geltend, die Beklagte hafte für die Folgen des - nach Ansicht der Kläger völkerrechtswidrigen und kriegsverbrecherischen - NATO-Angriffs, weil sie ein ihr - wie die Kläger behaupten - im Rahmen der NATO-Gremien zustehendes Vetorecht gegen die Auswahl der Brücke als Angriffsziel nicht ausgeübt und zudem den Angriff durch eigene Streitkräfte unterstützt habe.

Das LG Bonn hat mit Urteil vom 10.12.2003 (1 O 361/02) die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Kläger hatte keinen Erfolg. Der zuständige Berufungssenat des OLG Köln hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Klageansprüche fänden weder im humanitären Völkerrecht noch unmittelbar in den Grundrechten des Grundgesetzes noch im deutschen Staatshaftungsrecht eine hinreichende Stütze:

Ersatzansprüche aufgrund des humanitären Völkerrechts - insoweit sind hier vor allem Bestimmungen der sog. Haager Landkriegsordnung aus dem Jahre 1907 sowie des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Abkommen aus dem Jahre 1949 betroffen - könnten die Kläger nicht erfolgreich in eigener Person geltend machen. Nach herrschender, zuletzt im Jahre 2004 vom BVerfG bestätigter Rechtsauffassung sehe die traditionelle Konzeption des Völkerrechts als eines zwischenstaatlichen Rechts den einzelnen Staatsbürger nicht als Völkerrechtssubjekt an, sondern gewähre ihm nur mittelbaren Schutz:

Bei völkerrechtlichen Delikten durch Handlungen gegenüber fremden Staatsbürgern stehe ein Anspruch nicht dem Betroffenen selbst, sondern nur seinem Heimatstaat zu. Lediglich der Staat könne daher im Wege des diplomatischen Schutzes sein eigenes Recht darauf geltend machen, dass das Völkerrecht in der Person seines Staatsangehörigen beachtet werde. Unmittelbare Ansprüche der Kläger persönlich aus humanitärem Völkerrecht bestünden dagegen nicht.

Entschädigungsansprüche könnten ferner auch nicht unmittelbar aus den Grundrechten hergeleitet werden. Diese seien nach allgemeiner Auffassung selbst keine Anspruchsgrundlagen, sondern in erster Linie Schutz- und Abwehrrechte gegen den Staat. Es bedürfe vielmehr auch bei Grundrechtsverletzungen stets einer konkreten Anspruchsnorm, in deren Ausgestaltung sodann grundrechtliche Wertungen einfließen könnten.

Schließlich stünden den Klägern im Ergebnis auch keine Ersatzansprüche aus dem zivilrechtlichen (deutschen) Amtshaftungsrecht zu.
Allerdings seien derartige individuelle zivilrechtliche Ansprüche geschädigter Personen neben einem - etwaigen - völkerrechtlichen Anspruch ihres Heimatstaats nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Die Anwendung des Amtshaftungsrechts scheide vorliegend auch nicht etwa deshalb generell aus, weil das streitige Geschehen sich im Rahmen einer bewaffneten zwischenstaatlichen Auseinandersetzung ereignet habe. Zwar seien nach dem Verständnis des deutschen Amtshaftungsrechts in der Zeit bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs dem Staat zurechenbare militärische Handlungen vom - damaligen - Amtshaftungstatbestand ausgenommen gewesen (vgl. dazu das "Distomo"-Urteil des BGH vom 26.06.2003 zu einem Vorfall aus 1944). Dieses Verständnis sei aber für derartige Auseinandersetzungen in der Gegenwart überholt und auf der Grundlage des heutigen deutschen Amtshaftungsrechts im Lichte der Werteordnung des Grundgesetzes und der Weiterentwicklungen im internationalen Recht nicht mehr zu rechtfertigen.
Gleichwohl verhelfe dies der Klage letztlich nicht zum Erfolg. Völkerrechtswidrige, kriegsverbrecherische Handlungen, die sich staatshaftungsrechtlich als Amtsmissbrauch seitens der Bundesrepublik darstellten oder sonstige ihr haftungsrechtlich zurechenbare Handlungen seien nämlich nicht feststellbar:
Hierbei könne dahin stehen, ob tatsächlich deutsche Flugzeuge unterstützend in den streitigen Luftangriff eingebunden gewesen und ob die konkreten Umstände dieses Angriffs völkerrechtswidrig oder gar kriegsverbrecherisch gewesen seien. Dass die beklagte Bundesrepublik, eine unterstützende Einbindung in den Angriff zugunsten der Kläger unterstellt, über das konkrete Angriffsziel oder über Umstände und Form des Angriffs informiert gewesen sei, werde von den Klägern nicht behauptet und sei auch nach dem innerhalb der NATO geltenden Grundsatz des "need to know" - wonach jeder Mitgliedsstaat hinsichtlich der einzelnen Luftoperationen nur über die zur Wahrnehmung seiner eigenen Aufgaben nötigen Kenntnisse habe verfügen müssen - nicht ersichtlich. Jedenfalls mangels Kenntnis bzw. schuldhafter Unkenntnis einer etwaigen Vorwerfbarkeit der konkreten Ausführung des Angriffs auf Seiten der Bundesrepublik scheide daher eine Zurechnung der Angriffsfolgen aus. Im Kern nichts anderes gelte hinsichtlich der Aufnahme der Brücke in die Ziellisten der NATO bzw. der Nichtausübung eines etwaigen Vetorechts.
Dass allein schon die Aufnahme der Brücke in die Listen als solche offensichtlich völkerrechtswidrig gewesen sei, lasse sich nicht feststellen. Von den Klägern werde auch nicht vorgetragen, dass die konkreten Umstände eines künftigen Angriffs schon bei der Zielauswahl überhaupt in Rede gestanden hätten; dagegen spreche überdies das Prinzip des "need to know". Die Beklagte habe deshalb, ihre Kenntnis von der Aufnahme in die Ziellisten bzw. die Nichtausübung eines etwaigen Vetorechts unterstellt, darauf vertrauen können, dass ein möglicher künftiger Angriff in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht erfolgen werde.

Das Urteil des OLG Köln ist nicht rechtskräftig. Der Berufungssenat hat mit Rücksicht darauf, dass über die Frage der Anwendbarkeit des heute geltenden Amtshaftungsrechts auf Handlungen im Rahmen bewaffneter Auseinandersetzungen höchstrichterlich noch nicht entschieden wurde, die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.

Rüdiger Pamp
Dezernent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

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