Kontaktverbote für muslimische Mädchen
- ein Fallbeispiel, wie es für viele gilt und für viele andere nicht -

Es war in Berlin, im Bezirk Wedding. Im Jahr 1989 oder 1990. 

Ein türkisches Mädchen hatte im Unterschied zu ihren Brüdern die Schule mit einem erstklassigen Zeugnis absolviert, fand aber keine Arbeitsstelle. Sie sollte nicht die höhere Schule besuchen, nicht studieren, sondern möglichst rasch "Geld verdienen".  

Brauchte sie Geld?  Nein, denn würden ihre Eltern zu wenig verdienen, so hätte dieses Mädchen BAföG beantragen und erhalten können.

Aber sie durfte nicht, was sie wollte und mit ihrer Intelligenz, ihrer Disziplin zum Fleiß mühelos schaffen konnte.

Nun, das waren immerhin Eigenschaften, die sie ihrer Erziehung, also ihrem Elternhaus zu verdanken hatte. Doch mit Dank allein war es jetzt nicht getan und die Tochter sollte beim Verdienen helfen, denn die Eltern verdienten zwar genug, um bei Banken Kredite zu bekommen, mit denen sie in der Türkei ein Haus bauen ließen, in dem sie ihr Alter zu verbringen planten, aber Verdienst und Kredite genügten nicht, weil sie in ihrer türkischen Heimat viel arme Verwandtschaft hatten und die überwiesenen Gelder nicht bewirkten, wie sie sollten. Jedenfalls brauchte man Geld. Schnell und viel.

Die beiden Brüder des Mädchens kamen als Verdiener nicht in Frage, denn sie waren der  Enge türkischer Sitten schon seit langem entflohen, waren aber in ihrem Geburtsland Deutschland weder intellektuell noch berufsfähig angekommen. 
 
Die Brüder genossen einerseits die "große Freiheit" endloser Disco-Nächte und die "deutschen Weiber", zu denen sie aber ihre eigene Schwester auf keinen Fall zählen wollten.  -  Doppelmoral gibt es eben nicht nur bei den Christen.

Deshalb blieb das türkische Mädchen zuhause und durfte außer zum Einkauf und Herumschieben jüngerer Geschwister kaum auf die Straße, damit sie keine Jungen kennenlernt, auch nicht solche, wie ihre Brüder welche waren.

Und mir vertraute die Familie ihr Töchterchen nicht ohne Begleitung an. Der Vater kam mit in die Beratung, von der er nichts verstand, weil er auch nach 17 Jahren in Deutschland meine Sprache nicht erlernte.  

Ich half der Tochter beim Texten ihres Bewerbungsschreibens - und abseits saß ihr Vater, still beobachtend, dass zwischen seiner Tochter und mir nichts zu brennen begann. - Ein netter Mann. Mit diesem Urteil ist mir ernst.

Es war vermutlich gut so. Denn ich war mir zwar sicher, besser als ihre Brüder zu sein, aber in der Frage, ob die Monogamie der naturgemäße Weg des Mannes ist - oder erst im Alter (""), fehlte es mir so sehr an Gewissheit, dass sich auf solche Fragen so manches Mädchen nicht eingelassen hätte, wenn ich nur zeitig genug über mein Problem informiert hätte.

Die Sitten sollen den Menschen schützen. Und viele Sitten können das sogar auch. 

Deshalb soll man viele Sitten schützen. Aber stets kritisch, denn die Sitten sind für den Menschen da.  Aber nicht zur Bewahrung von Doppelmoral oder um ihn zu entrechten.

sven200401

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