"Erbfeindschaft" und andere Vorurteile

Noch in den Sechzigern des 20. Jahrhunderts gab es an deutschen Schulen Lehrer, die eine "deutsch-französische Erbfeindschaft" lehrten und uns dafür lange Liste an Konflikten und Kriegen an die Tafel schrieben. - Bis dahin wusste ich von solche "Erbe" nichts und war einigermaßen beeindruckt. Zuhause widersprachen meine Eltern solchem Gerede, erzählten von Franzosen und sprachen französisch, was sich ziemlich elegant anhörte.

Jahre später machte mein zweitältester Bruder mit mir Urlaub in der Normandie und Bretagne. Das Jahr muss ich nachschauen.

Ein tolles Land. Aber die Strände waren übersät mit Bunker-Ruinen des "Altantikwalls", der unter deutscher Besatzungsmacht im 2. Weltkrieg zwecks Abwendung einer Invasion auf einer 2.700 km Länge gebaut worden war, hauptsächlich von  Zwangsarbeitern. Die Ruinen standen da wie Kriegszeugnisse für die Ewigkeit, so groß schien mir der Beseitigungsaufwand.

Ungewohnt waren für mich auch die vielen Denkmäler für französische Kriegstoten. Gewohnt war ich es halt umgekehrt. Tourismus war ungleich weniger entwickelt als heute; in bretonischen Dörfern und auf den Campingplätzen fiel man mit deutschen Autokennzeichen noch auf. Da konnte passieren, dass wir nach Hitler gefragt wurden oder die Anrede war mitunter gehässig, aber nur die erste, denn wenn Vorurteile falsch sind und nicht bestätigt werden, so wendet es sich ins Gute. Oft umso mehr, was dann beiderseits ein bisschen beschämen kann, dass überhaupt Verdacht und Misstrauen war. Jedenfalls wurden wir total integriert, umsorgt, über die örtlichen Sitten und Unsitten informiert - und reichlich "ausspioniert", rumgereicht, mitgeschleppt, durchgefüttert, "denn" mein Bruder und ich kochten zu schlecht; lange Nächte mit Spiel, Tanz und Musik, bis die Sonne ungnädig mitteilte, dass Schlaf keine Sünde gewesen wäre. Doch schon wieder Frühstück. Super herzlich. Und alle amüsiert, als die bildschönste, blonde Französin und ich die Kontrolle über die Schmetterlinge verloren. Sie nannte mich ihren "boche" - und nach "Erbfeindschaft" klang es nicht. 

So war für mich Frankreich, die "Große Nation", schön selbstbewusst und selbstkritisch, die über sich lachen kann, aber sicherlich nicht mit Leuten, die an eine "deutsch-französische Erbfeindschaft" glauben.

MEIN FRANKREICH

Markus Rabanus200901

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