DER SPIEGEL 39/2000  CAROLIN EMCKE, CHRISTOPH MESTMACHER

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Fortsetzung  "Benzin und Streichholz"

Ein krasses Abenteuer

Endlich war es so weit: Hüttenbauen im Wald, Lagerfeuer, im Freien kampieren mit national gesinnten Aktivisten. Aufgeregt machten sich Carla und Tina auf den Weg Richtung Pirmasens zu ihrer ersten Sonnenwendfeier. Den Veranstaltungsort kannten, so ihr Eindruck, nur Eingeweihte, schließlich vermuteten sie: Dort treffen sich die Spitzen der nationalen Bewegung.

Die Sonnenwendfeier, auf der einst Kelten und Germanen die längste Nacht des Jahres begingen, hatte im Mythenmix der Nationalsozialisten ihren festen Platz. Quasi religiöser Feuerzauber, weihevolle Sprüche und dramatische Kranzverbrennungen zu Ehren der Parteimärtyrer sollten vor allem die Hitlerjugend in den Bann des Braunen ziehen.

Umso gewaltiger war die Enttäuschung für Carla und Tina. Statt gestählter Kämpfer trafen sie angetrunkene Skins und kichernde Mädchen von der rechtsradikalen "Jungen Landsmannschaft Ostpreußen".

Zeremonienmeister war Wilhelm Herbi, den viele nur "Feld-, Wald- und Wiesen-Nazi" nannten, obwohl er mal NPD-Landesvorsitzender von Rheinland-Pfalz war. Herbi will von Auschwitz nichts wissen: "Das, was eine Anne Frank, ein Simon Wiesenthal oder ein Ellie Wiesel mitgemacht haben, waren geregelte Lageraufenthalte in einer schlechten Zeit. Da gab es Betten und Decken."

Mutter und Tochter traten eher schüchtern in den Kreis der Metseligen. Zwar hatte es geheißen, es gebe den betäubenden

Honigtrunk erst nach Entfachen des germanischen Feuers, aber daran hielt sich keiner der zwei Dutzend Anwesenden.

Befremdet gingen die Neulinge in den Wald, um Holz zu sammeln. Dabei begleiteten sie die abschätzigen Blicke der Älteren. In Erwartung großer Abenteuer hatten Carla und Tina T-Shirt, Jeans und Turnschuhe angezogen. Die Männer wünschten sich dagegen ein deutsches Mädel sittsam im Kleid.

Herbi, der seine Jünger stocknüchtern in Erinnerung hat, mühte sich mit Hans, der Feier etwas Würde zu verleihen. Das fiel nicht leicht nach all dem selbst gepanschten Met, wie er das Gebräu aus billigem Wein und Honig nannte.

Der Hobby-Germane, der fest daran glaubt, die Galaxie sei wie ein Hakenkreuz geformt, wies Carla in die "heilige" Zeremonie ein. Sie bekam ein weißes Bettlaken, angeblich vor drei Wochen geweiht. Widerstrebend streifte Carla das Tuch über. Nur in diesem Aufzug, bedeutete ihr Herbi, dürfe sie die Feuersprüche aufsagen.

Mit drei anderen Frauen, für jede Himmelsrichtung eine, gruppierte sie sich um das aufgeschichtete Holz. Weihevolle Reden wurden vorgetragen, dann waren die Frauen an der Reihe. "Ich bin der Norden und bringe das Feuer", rief die erste. Die anderen folgten. Das Feuer wurde entfacht, die alkoholisierte Schar lallte ein paar Lieder. Das Besäufnis nahm seinen Lauf.

Mutter und Tochter fühlten sich unwohl. Enttäuscht wollten sie aufbrechen. Statt der versprochenen Geländeübungen und Orientierungsmärsche waren sie in einer versoffenen Horde gelandet, die mit seltsamen Heldentaten wie dem "Kekswichsen" prahlte. Dabei stellen sich Skins um einen Keks auf, onanieren um die Wette und zielen mit ihrem Sperma auf das Knabberwerk. Wer als Letzter kommt, muss unter dem Johlen der anderen den Keks vertilgen. Vielleicht gaben die Skins auch einfach nur an.

Es war Hans, der die Frauen zum Bleiben bewog. Mit seinem korrekten Scheitel und dem Bärtchen unter der Nase sah er aus wie ein Überbleibsel aus der Hitlerzeit ­ sauber, anständig, ganz anders als die tumben Skins.

Hans wusste mehr, hatte schon viel bessere Sonnenwendfeiern erlebt, mit der Artgemeinschaft zum Beispiel, einem rechtsextremen Zirkel, dessen Mitglieder sich dem germanischen Glauben und "Härte und Hass" gegen ihre Feinde verschrieben haben. Hans schwadronierte von Kaderorganisationen und versprach, wonach sich Carla und Tina gesehnt hatten: "Ein krasses Abenteuer."

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